Behavioral Finance

In der klassischen Modellvorstellung der Wirtschaftstheorie verhalten sich die Marktteilnehmer als Homo Oeconomicus – tatsächlich treffen Anleger ihre Entscheidungen aber nicht immer rational und schon gar nicht emotionslos. Die Behavioral Finance (verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie) untersucht die psychologischen „Irritationen“ eines einzelnen Individuums bei der Finanzanlage und demzufolge auch einer ganzen Masse, wodurch sich Phänomene wie Booms und Krisen erklären (oder sogar vorhersagen?) lassen. Nicht selten führen diese Verhaltensanomalien zu Über- oder Unterbewertungen von Finanzwerten. Wir Teilnehmer reagieren je nach Ausprägung (steigender/fallender Markt) ganz unterschiedlich stark. Dies zeigt sich beispielsweise an wiederkehrenden Verhaltensmustern, die Verlusten einen höheren Schmerz zuweisen als Gewinnen an Freude. In jedem Marktzyklus ist das beschriebene Herdenverhalten (nennen wir es gerne auch Trendanalyse) der Marktteilnehmer mitunter sichtbar. Das überwiegend verlust-averse Verhalten ggü. Risikofreude offenbart sich zweifellos in unterschiedlicher Form und Ausprägung. Signifikante Änderungen der Risikoeinstufung (Ausweitung) ergeben sich jedoch z.B. bei zunehmendem Ertragsdruck. Die Wahrnehmung der Investoren, beeinflusst durch Faktoren wie Informationsfluss, Preise, Meinungen, vorherrschender Positionierung, etc. greift die Behavioral Finance auf und versucht hieraus neue Aufschlüsse zu generieren.

Wir als Mensch unterliegen im Entscheidungsverhalten (aufgrund unserer kognitiven Beschaffenheit) systematischen Irrtümern. Unser Gehirn greift hier gerne auf bekannte Denkmuster zurück, was im Wesentlichen effizient ist und durchaus auch brauchbare Ergebnisse liefert. In Folge dessen können aber verzerrte und für Investitionen weniger optimale Resultate entstehen. In der Psychologie werden diese unvollkommenen Faustregeln als Heuristiken bezeichnet. Durchaus gängige und stetig wiederkehrende Beispiele sind: Heimateffekt (Home Bias), Selektive Wahrnehmung, Kontrollillusion, Selbstüberschätzung, Ankereffekt, Verfügbarkeitsheuristik und Verlustaversion. Je nach Ausprägung der Effekte sind gerade auch in Krisensituationen entsprechende Marktbewegungen diesbezüglich zu erkennen.

Ebenso tragen die allseits bekannten „mystischen Börsenweisheiten“ möglicherweise unbewusst zu Verhaltensanomalien bei. Mit Blick auf den Kalender müsste sich „Sell in May and go away“ (auch bekannt unter dem Halloween-Effekt) gerade schon bezahlt machen. Auch wenn der DAX in den vergangenen sechs Jahrzehnten im Sommerhalbjahr im Mittel um ca. 0,65% nachgegeben hat (Quelle: Seasonax), können die saisonalen Schwächephasen bei Indices oder gar einzelnen Aktien vollkommen unterschiedlich sein. Wissenschaftliche Studien von Prof. Dr. Ben Jacobsen liefern aber durchaus Belege, dass eine Vielzahl an Sektoren zwischen Halloween und Mai den größten Teil ihrer Jahresrendite erwirtschaften, woran sich allerdings auch schon die nächste Frage anschließt: Was ist mit der freien Liquidität aus dem Verkauf anzufangen?

Mit dem Vorhandensein geschilderter Irrationalitäten ist es lohnenswert, sich den Herausforderungen solcher Aktions- und Reaktionsmuster bewusst zu stellen. Dies kann in mehrfacher Hinsicht geschehen: Frühzeitig und mit neutraler Haltung strategische Leitplanken/Zielmarken setzen, Affekt-Handlungen vermeiden und sich immer wieder erwähnte psychologische Fallstricke ins Gedächtnis rufen. Erkenntnisse der Verhaltensökonomie sollten daher auch bei der Umsetzung eines fundierten und systematisch angelegten Asset-Allokation-Prozesses im Bereich der Eigenanlagen miteinfließen.

Autor: Christian Panosch – Senior Consultant KC Risk AG (christian.panosch@kcrisk.de; 0911-235556-48)