Mehrfach kündbare Anleihen unter barwertigen Gesichtspunkten kritisch beurteilt

Seit weit über 20 Jahren sind mehrfach kündbare Anleihen (Multicallables -MC) ein (mehr oder weniger) fester Bestandteil in den Depots zahlreicher Genossenschaftsbanken. Durch die höhere Rendite erscheinen diese auf den ersten Blick als eine risikoarme Möglichkeit, den Ertrag der Eigenanlagen zu steigern. In einer GuV orientierten Steuerungswelt – gepaart mit fallenden oder konstanten Zinsen – erschienen die Multicallables (MC) als echte Anlagealternative vor allem als Ersatz für kurzfristige Anlagen.

Unter barwertigen Steuerungsaspekten werden allerdings die Risiken dieser Anlageform deutlich. Des Weiteren verdeutlicht das gegenwärtige Umfeld deutlich steigender Zinsen die Nachteile für die Steuerung. Nachfolgende Ausarbeitung soll dies anhand eines praktischen Beispiels verdeutlichen:
5 Mio. € – 0,3% DZ Bank Brief 10 Jahre – jährlich kündbar – Kurs 100,00 – Kauf per 30.09.2021
In dieser Darstellung werden ausschließlich Zins- und Optionskomponenten beleuchtet. Das Adressrisiko kann aufgrund der Ausgestaltung (Verbund und gedeckt) als unwesentlich eingestuft werden.

Zum Kaufzeitpunkt lag die Effektive Duration der MC–Anleihe bei 5,40% mit einer Kündigungswahrscheinlichkeit zum ersten Kupontermin von ca. 54,5%. Durch den erheblichen Zinsanstieg seit dem Kauf (vor allem in Q1/2022) hat sich die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung zum ersten Kupontermin auf ca. 7,5% reduziert. In der Folge hat sich der Cash Flow der Anleihe entsprechend verlängert (vgl. Schaubild 1), was wiederum einen Anstieg der Effektive Duration auf 6,45 nach sich zog – obwohl die Restlaufzeit um 0,5 Jahre zurückging.

Schaubild 1: Verlängerung Zinsbindungs-Cashflow einer mehrfach kündbaren Anleihe durch den Zinsanstieg

Vereinfacht gesagt verlängert sich die bereits getätigte Anlage durch den Zinsanstieg immer weiter – das Zinsänderungsrisiko des bereits kontrahierten Geschäfts steigt an und reduziert die Spielräume für weitere Fristentransformation.

Der Risikoanstieg ist aber nur eine Seite der „barwertigen Medaille“. Des Weiteren muss die Stabilisierung bzw. Schaffung von stillen Reserven mit Blick auf die verlustfreie Bewertung des Zinsbuchs gegenwärtig höchste Priorität genießen. Neben der Vereinnahmung von Konditionsbeiträgen führt auch Fristentransformation bei entsprechender Marktentwicklung zur Generierung von Zinsbuchbarwert.

Um die barwertigen Chancen einer Investition zu quantifizieren, lohnt sich eine Analyse der Kursentwicklung mittels Zinsszenarien. Besonders zum Zeitpunkt des Kaufs ist die nachteilige Asymmetrie des Chancen-/ Risikoprofils deutlich erkennbar. Beim Szenario +200 BP (Kursverlust -14,48 %-Punkte) und -200 BP (Kursgewinn 4,08%-Punkte) zeigt sich der Unterschied eindrucksvoll. Es ist offensichtlich, dass es durch das asymmetrische Risikoprofil nicht möglich ist, mit MC-Anleihen eine relevante barwertige Performance (-> Zinsbuchreserven) zu erzielen.

Schaubild 2: Veränderung des Chancen-/Risikoprofils – deutliche Asymmetrie zum Investitionszeitpunkt. Trotz deutlichem Kursrückgang im März 2022 wurde noch keine Symmetrie des Chancen-/Risikoverhältnisses erreicht.

Der Anstieg der Chancen per 31.03.2022 resultiert aus den bereits eingetretenen Kursverlusten (-7,7%). Diese Kursverluste werden barwertig in den fallenden Szenarien wieder zur Chance (d.h. Wertaufholung). Ursächlich hierfür ist die Rückzahlung zu 100% (egal ob durch Kündigung oder Endfälligkeit) – dieser Rückzahlungskurs stellt faktisch immer die Obergrenze der Chancen (zum jeweiligen Kündigungszeitpunkt) dar. Somit tragen die MC-Anleihen in einem Umfeld rückläufiger Renditen nicht zur Ertragsstabilisierung bei, da sie aufgrund der Kündigung sowohl im Zinsergebnis als auch in der Zinsbuchreserve fehlen.

Grundsätzlich gilt: Je länger die juristische Endfälligkeit und je mehr Kündigungsrechte der Emittent hat, desto weniger kann die Bank das Niveau der Fristentransformation selbstständig steuern. Die Entscheidung über den Umfang des Zinsänderungsrisikos muss – im aktuellen Umfeld umso mehr – aber individuell und engpassorientiert erfolgen können. Insofern ist es essenziell, dass die Cashflow-Wirkung einer Investition kein unerwünschtes Überraschungspotential aufwirft. Mehrfach kündbare Anleihen sind unter diesen Aspekten sehr kritisch zu betrachten und sollten – wenn überhaupt – maximal einen „Beimischungscharakter“ aufweisen. Eine konsequente Begrenzung über entsprechende Strukturlimite ist auf jeden Fall unerlässlich.

Autor: Ralph Freund – Bereichsleiter Strategisches Treasury (ralph.freund@kcrisk.de; 0911-235556-11)